Bürgersprechstunde
Mit dem Ende des Krieges am 8. Mai 1945 endeten Not und Elend der Überlebenden noch keineswegs, war an einen Neubeginn noch kaum zu denken.
Zunächst machten viele der befreiten Kriegsgefangenen die Gegend unsicher, die Engländer hatten sie in den Baracken der Langendammer Muna untergebracht und schoben sie im Laufe des Jahres nach und nach in ihre Heimat ab. Ihre Versorgung mit Lebensmitteln war sicher nicht ausreichend, aber auch der Haß gegen die Deutschen und der Gedanke an Rache spielte sicherlich eine Rolle, und so gingen einzelne Gruppen nachts auf Raubzüge in die umliegenden Dörfer und schreckten auch vor Mord und Totschlag nicht zurück.
Auch ein Linsburger fiel so einem Raubmord zum Opfer, doch die Tat wurde nie gesühnt, denn es war eine herrenlose Zeit. Ebenfalls ungesühnt blieb der Mord an einem jungen deutschen Soldaten, der nun nach Kriegsende unwissend dieses Lager an der heutigen B 6 passierte, als er versuchte, zu Fuß seine Heimat zu erreichen. Die Engländer fanden ihn erschlagen und ausgeraubt am Straßenrand liegen, ungefähr in Höhe der heutigen Standortschießanlage. Da seine Mörder auch Erkennungsmarke und Papiere mitgenommen hatten, mußte er als unbekannter Soldat auf dem Langendammer Friedhof beigesetzt werden. Die Einheimischen kannten die Gefahr. Wenn sie in dieser Zeit nach Nienburg mußten, gingen sie an der Bahn entlang, um Langendamm zu umgehen.
Die Versorgungslage der Bevölkerung war überall katastrophal, denn es gab ja kaum noch Transportmöglichkeiten. Hier auf dem Dorfe brauchte man aber wenigstens nicht zu hungern, dazu trug sicher auch manches schwarzgeschlachtete Schwein mit bei, denn die Lebensmittel waren weiterhin rationiert.
Besonders schwierig war die Lage der Linsburger, deren Häuser oder Hofstellen beim Angriff der Engländer abgebrannt waren. Wie sollten sie bis zum nächsten Winter wieder eine vernünftige Bleibe für sich und ihr Vieh bekommen? Einiges gab es ja in der nur schwach bewachten Muna zu holen, man durfte sich von der englischen Wachmannschaft nur nicht erwischen lassen. Das klappte aber nicht immer, und so machten auch einige Linsburger mit dem Nienburger Gefängnis Bekanntschaft.
Bei Kriegsende hatte die große Angst bestanden, dass die abrückenden deutschen Truppen die Produktionshallen und die Bunker für die Munitions- und Pulverlagerung sprengen würden, es war schon von einer Evakuierung Linsburgs die Rede. Aber dieses unterblieb zum Glück und auch die Engländer sprengten nur einige Bunker, von der Druckwelle fielen in Linsburg aber auch noch einige Dachpfannen herunter. Bei einer Gesamtsprengung der gesamten Anlage wäre auch unser Ort stark in Mitleidenschaft gezogen worden.
So aber war in der unzerstörten Muna vieles zu holen, und vor allem am Sonntag zogen aus der näheren Umgebung einzelne Gruppen los, um nach Brauchbarem zu suchen, so auch am Sonntag, den 18. November 1945. Doch die 10 Linsburger, 7 Nöpker und Borsteler sollten nicht wiederkommen, eine gewaltige Detonation war gegen Mittag in Linsburg zu hören und die schlimmsten Befürchtungen wurden zur Gewißheit, keiner der 17 Ausgezogenen kehrte nach Hause zurück, alle waren bei der Explosion eines Pulverbunkers mit in die Luft geflogen. Nur ein riesiger Krater war zurückgeblieben, an seinem Rand ist auch heute noch die von Angehörigen errichtete kleine Gedenkstätte erhalten. Sie liegt innerhalb des Übungsplatzes der Bundeswehr im Westerbuch und kann auf Antrag von den Angehörigen besucht werden, denn es gibt nur für eines der Opfer, von dem man sterbliche Überreste fand, eine Grabstätte. DIE HARKE - Nienburger Zeitung - hat in einem Artikel vom 20.11.2021 an dieses Unglück erinnert Lesen.
Deutschland wurde nun in 4 Besatzungszonen aufgeteilt, Linsburg lag in der ganz Norddeutschland umfassenden Britischen Besatzungszone. Bis zum Einzug in die leerstehenden deutschen Kasernen waren die Besatzungssoldaten in beschlagnahmten Häusern und Wohnungen untergebracht, hier im Ort hatten sie sich auf den Sälen der beiden Gasthäuser einquartiert. Ihre Aufgabe bestand zunächst in der Entwaffnung aller Deutschen, so mußten auch alle Jagdwaffen abgegeben werden, und in der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. Wer unter den Nationalsozialisten auf den Dörfern ein Amt innegehabt hatte, wurde von den Engländern auf seine politische Überzeugung und sein Verhalten während des Dritten Reichs hin überprüft und gegebenenfalls in ein Entnazifizierungslager geschickt, mußte also an einer Art politischen Umschulung teilnehmen.
Die einfachen Verwaltungsangelegenheiten auf unterer kommunaler Ebene haben die Engländer schon 1945 wieder in deutsche Hände gegeben, man setzte also nach englischem Vorbild einen Bürgermeister und einen Gemeindedirektor ein und suchte sich dazu Männer mit „unbelasteter" Vergangenheit aus. Diese mußten nun die Bezugsscheine für Nahrungsmittel, Kleidung, Brennstoffe u. a. ausgeben und standen bald vor einer sehr schwierigen Aufgabe, denn sie mußten jetzt für die nun immer häufiger eintreffenden Flüchtlinge Wohnraum beschaffen.
Waren es in der ersten Zeit nach Kriegsende in erster Linie ehemalige Soldaten der Wehrmacht gewesen, die auf dem Marsch in ihre Heimat für einige Tage oder Wochen in Linsburg Station machten, so kamen bald die ersten Flüchtlinge in den Ort, die ihre Heimat im Osten auf der Flucht vor der russischen Armee verlassen hatten und kaum mehr besaßen, als das was sie auf dem Leibe trugen. Sie hatten auf der Flucht oft kaum vorstellbares durchgemacht, waren zuerst in irgendwelchen Lagern untergekommen und wurden nun auf die Dörfer verteilt. Da man dort nun schon wieder Wohnraum hergeben und noch enger zusammenrücken mußte, wurden diese armen Menschen keineswegs mit offenen Armen aufgenommen.
Die Flüchtlinge blieben zuerst oft isoliert, versuchten aber meistens auch gar keine Integration in den Ort, denn sie hofften alle, in Kürze wieder nach Hause zurück zu können. Doch bald sahen die meisten ein, dass es wohl kein Zurück in die Heimat mehr geben würde, denn nun wurden auch die restlichen bislang in den Ostgebieten verbliebenen Deutschen von Russen, Polen und Tschechen vertrieben und mußten zusätzlich untergebracht werden. Man kann sich heute kaum noch vorstellen, auf welch engem Raum man damals leben mußte. Auch einige bald darauf errichtete Notunterkünfte brachten nur wenig Entlastung, denn nach einer Aufstellung von 1949 waren von den nunmehr 1100 in Linsburg lebenden Bewohnern 517 Flüchtlinge und Vertriebene.
Nachträgliche Ergänzung vom 05.01.2014
In DIE HARKE vom 05.01.2014 wurde eine Tabelle "Ortsverzeichnis mit Angabe der Einwohnerzahl nach dem Stand vom 01. Mai 1947" veröffentlicht, die der Zeitung von Werner Eßmüller (Heimatverein Deblinghausen) zur Verfügung gestellt worden war: Ansehen
Mit dem Wiederaufbau der Städte gab es dort wieder Wohnraum und so verließen Anfang der 50er Jahre die meisten der durch die Kriegswirren hierher gekommenen Menschen unseren Ort wieder. Doch manche Familien blieben auch, fanden hier in Linsburg eine neue Heimat. Zuerst waren sie an ihrer Mundart noch zu erkennen, besonders die Ostpreußen und die Schlesier. Das hier übliche Plattdeutsch haben nur wenige von ihnen mit der Zeit erlernt, doch auch die alteingesessenen Linsburger Familien begannen nun, mit ihren Kindern Hochdeutsch zu sprechen, das sollte diesen in der Schule Vorteile bringen, denn auf eine bessere Bildung wurde nun immer mehr Wert gelegt. So lernten die jüngeren Generationen kaum noch die alte Umgangssprache unserer Vorfahren. Sie wird in einigen Jahrzehnten wohl ganz verschwinden und in Vergessenheit geraten. Das ist sehr schade, ist sie doch altes heimisches Kulturgut und wäre es Wert, erhalten zu bleiben.